Grafschaft Glatz (Schlesien) Neuigkeiten und Wissenswertes aus Schlesien

6.6.2025

„Versöhnung“ – eine Veranstaltung in der Papiermühle Duszniki

Filed under: Neues aus Schlesien — Horst Ulbrich @ 08:48

60 Jahre Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe

Unter dem Titel „Dolny Śląsk po 1945 r. – widziany z różnych perspektyw“

(Niederschlesien nach 1945 – aus verschiedenen Perspektiven betrachtet) fand am 25.

April in der historischen Papiermühle Duszniki eine bemerkenswerte öffentliche Tagung

statt.

Dies war eine weitere Debatte, die vom Geschichtszentrum Zajezdnia in Breslau im

Rahmen der Reihe „Zwischen Stadt und Region“ organisiert wurde.

Bemerkenswert zum einen wegen der anhaltend wichtigen Inhalte der Beiträge:

Ziel des Treffens war es, den Gedanken der Versöhnung aus unterschiedlichen Ansätzen

zu erläutern. Dabei machte schon die Einladung die Schwierigkeit und Komplexität

deutlich, über „Versöhnung“ im Rahmen der deutsch-polnischen Beziehungen und

ergänzend auch der tschechisch-polnischen Beziehungen zu sprechen.

Diese anspruchsvollen Aufgaben wurden in den Darstellungen der drei Referenten vertieft:

Dr. habil. Małgorzata Ruchniewicz, Professorin am Institut für Geschichte der Universität

Wrocław, Dr. habil. Piotr Pałys von Instytut Śląski w Opolu (Schlesisches Institut in Opole)

und Dr. habil. Maciej Szymczyk, Direktor des Papiermuseum in Duszniki-Zdrój.

Prof. M. Ruchniewicz stammt aus Bystrzyca Kłodzka, sie wurde für ihre wissenschaftlichen

Publikationen, von denen einige auch auf Deutsch erschienen sind, mehrfach

ausgezeichnet. In der Region ist als Co-Autor (mit Prof. Arno Herzig) der folgenden

Studien bekannt: Geschichte des Glatzer Landes (2006), W kraju Pana Boga. Im Land des

Herr Gottes. Quellen und Materialien zur Geschichte der Region Glatz vom 10. bis zum

  1. Jahrhundert (2003). Ihr Ehemann Prof. Krzysztof Ruchniewicz ist ein polnischer

Historiker, Deutschlandforscher, Professor der Uni Breslau und Direktor des dortigen Willy-

Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien sowie Direktor des Witold-Pilecki-

Instituts in Warschau. Dr. habil. Piotr Pałys ist Autor zahlreicher Werke über die polnisch-

tschechischen Beziehungen, insbesondere seit 1945.

Die Diskussion wurde von Dr. Emilia Dziewiecka von der Abteilung „Weltweite

Papierherstellung“ des Museums geleitet.

Die Vorträge der Wissenschaftler widmeten sich der Entwicklung der Region Glatz nach

dem Zweiten Weltkrieg sowie den polnisch-deutschen und polnisch-tschechischen

Beziehungen seit 1945.

Im Anschluss an diese Vorträge verdeutlichten in der Diskussionsrunde u.a. Henryk

Grzybowski (Klodzko) am Beispiel Altheide / Polanica sowie Julian Golak (Nowa Ruda)

aus seinem Schaffen positive Gedanken zur deutsch-polnischen Versöhnung.

Die Diskussion war stürmisch, auch kritische Sichtweisen aus einer betont einseitigen

polnischen Perspektive kamen zu Wort, stießen aber bei den vielen Teilnehmern nicht auf

Akzeptanz.

Die Veranstaltung wurde wissenschaftlich begleitet und ergänzt durch Dr. habil. Wojciech

Kucharski, der zum Abschluss die Vorträge sowie die Diskussionsbeiträge

zusammenfasste und als Historiker in die richtigen Zusammenhänge stellte.

Bemerkenswert war die Veranstaltung aber zum anderen und ganz besonders durch das

persönliche Gespräch mit Dr. Kucharski nach dem offiziellen Ende der Tagung: In dieser

Unterhaltung fragte er mich, ob ich den Briefwechsel der polnischen und deutschen

Bischöfe kenne. Selbstverständlich – aber die folgende Frage war für mich die

Überraschung des Tages: „Kennen Sie auch den Entwurf der polnischen Bischöfe für ihr

berühmtes Schreiben?“

Ebenso selbstverständlich nicht – wer kennt schon diesen Entwurf, der laut Dr. Kucharski

viele Jahre verschollen war und erst vor kurzem im Vatikan wiedergefunden wurde.

Aus seiner Aktentasche zog der polnische Gesprächspartner dann als Faksimile den

kompletten Entwurf des Schreibens der polnischen Bischöfe hervor und gestattete auch mit

ausgiebigen Fotografien.

Dabei stellte er den Briefwechsel näher dar (in Vorbereitung einer Ausstellung, die im Mai

in Warschau eröffnet werden soll).

Anmerkung: Manfred Spata wies mich in der Zwischenzeit dankenswerterweise darauf hin,

dass dieser Entwurf in Deutschland bereits in Bonn in einer Ausstellung zu sehen war.

Zwei Erkenntnisse überraschten mich in diesem persönlichen intensiven Gespräch

besonders:

– Der Entwurf der polnischen Bischöfe ist bereits in Deutsch geschrieben!

Offensichtlich war nicht nur der Hauptautor, Bischof und spätere Kardinal Bolesław

Kominek (Wrocław), als Oberschlesier der deutschen Sprache ohne Probleme mächtig,

sondern auch weitere polnische Bischöfe, die den Brief korrigiert bzw. geändert haben,

wandten Deutsch wie selbstverständlich an.

– Der Briefwechsel fand nicht über Ländergrenzen hinweg statt, sondern die Briefe wurden

in Rom während der letzten Monate des II.Vatikanischen Konzils ausgetauscht.

Am 18. November 1965 ist der Brief der polnischen Bischöfe unterschrieben worden.

Die berühmten Worte der polnischen Bischöfe „Wir gewähren Vergebung und wir bitten

um Vergebung“ wurden nach der Veröffentlichung 1965 jedoch in beiden Ländern heftig

und kritisch diskutiert – zwanzig Jahre nach Kriegsende, fast zwanzig Jahre nach der

Vertreibung.

Am 05.Dezember 1965 antworteten die deutschen Bischöfe ihren polnischen

Amtskollegen, die „ von der Zurückhaltung dieser Antwort enttäuscht sind“ (Katalog der

Ausstellung 2016 „Kardinal Kominek“, Wrocław 2015, S. 18).

Die deutschen Bischöfe hingegen hatten ihren Brief natürlich in deutscher Sprache

entworfen – er musste dann in aller Eile übersetzt werden. Dabei sind von dem deutsch-

polnischen Priester, der lt. Dr. Kucharski diesen Brief ins Polnische übertragen hat, viele

Feinheiten der deutschen Antwort nicht beachtet worden..

Zur weiteren historischen Einordnung dieses Briefwechsels ist auch die Denkschrift der

EKD vom 01.Oktober 1965 zu beachten: Die Evangelische Kirche hatte sich unter dem

Titel „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen

östlichen Nachbarn“ deutlich zur Schuld des deutschen Volkes positioniert – was ihr in

Deutschland sofort große Kritik einbrachte.

 

Wer mehr über diese fast sechzig Jahre zurückliegende vorsichtige Annäherung und die

Folgen in Deutschland wie in Polen wissen möchte, findet z.B. im Online-Lexikon zur

Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa der Universität Oldenburg

ausführliche Hinweise und Erläuterungen.

Die dortige Kurzbeschreibung lautet: „Am 18. November 1965 wandten sich die polnischen

Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder mit einem Brief, der den berühmt gewordenen

Satz „[Wir] gewähren Vergebung und bitten um Vergebung“ enthielt. Die deutschen

Bischöfe antworteten am 5. Dezember desselben Jahres. Obwohl der Briefwechsel

zeitgenössisch durchaus kontrovers aufgenommen wurde, gilt er heute als Meilenstein der

deutsch-polnischen Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg.“ ( https://ome-lexikon.uni-

oldenburg.de/begriffe/briefwechsel-der-polnischen-und-deutschen-bischoefe ).

Treffend auch die Anmerkung und Erinnerung meines (Schul-)Freundes Michael Güttler zu

meinem Erlebnis in Duszniki:

„Hochinteressant! Habe das damals 1965 als junger Bursche trotzdem schon recht gut

und intensiv nachverfolgt. Natürlich durch Herkunft geprägt.“ (Zitat 2025)

Und so sind an diesem bemerkenswerten Abend in Duszniki sowohl der Briefwechsel (in

Rom überreicht, in Deutsch von den polnischen Bischöfen entworfen) verdeutlicht als auch

der umfassende geschichtliche Bezug zumindest angedeutet worden:

Die Schritte der Kirchen, auch der EKD, und der vertrauensvollen Kontakt der Bischöfe

(auch schon vor 1965) haben ihren Teil zu Entwicklungen wie der geänderten deutschen

Ostpolitik und dem Kniefall Willy Brandts in Warschau vor dem Denkmal der Helden des

Ghettos sowie dann auch 1978 zur Wahl des polnischen Kardinals Wojtyla zum Papst

beigetragen.

 

Autor: Peter Becker: Mitglied des DFK Glatz.           Mitarbeit: Henryk Grzybowski

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