Ein Beitrag unseres DFK Mitgliedes Günther Gröger
Zum Vergrößern auf die Bilder klicken!
Rübezahl ist tot!
Seit der unverwundenen Vertreibung aus der schlesischen Heimat, die auch Rübezahl nicht zu verhindern vermochte, singen ganze Omnibusreisegruppen der Heimwehtouristen mit inniger Wehmut:
Liegt die Heimat auch in weiter Ferne, doch Du Rübezahl hütest sie gut! Und nun diese Kunde!
Existiert ein Grab Rübezahls?
Ein westfälischer Freund befragte mich, ob ich die Grabstätte Rübezahls kennen würde. Voller Empörung antwortete ich mit dem obigen Liedtext, daß der schlesische Berggeist nach wie vor lebe und die Wächterfunktion ausübe. Noch nie hatte ich in der Grafschaft Glatz beheimatet – anderes vernommen.
Darum wandte ich mich besorgt an einen schlesischen Freund, von dem ich wußte, daß er aus Schreiberhau stammt. Er kannte tatsächlich die Grablege aus seinen Kindertagen in der Heimat, dort zwischen Iser- und Riesengebirge, und konnte mir auch die örtlichen Gegebenheiten schildern.
Wo findet man den Ort der Grabanlage?
Im April dieses Jahres machte ich mich mit meiner Frau auf zu einem einwöchigen Urlaub in Bad Flinsberg am Fuße des Isergebirges. Bei einem Tagesausflug nach Schreiberhau pirschten wir uns an die angegebene Stelle heran.
Wir fuhren zunächst zum Museum der berühmten Dichterbrüder Karl und Gerhart Hauptmann und von dort etwa zwei Kilometer weiter zu einem Rehazentrum, wo wir unser Auto abstellten.
Zu Fuß wanderten wir noch einmal etwa zwei Kilometer nach einer polnischen Wanderkarte zum eingezeichneten Grob Karkonosza. Karkonosz bzw. Pan Liczyrzepa sind polnische Bezeichnungen für den übernommenen und für Werbezwecke eingesetzten schlesischen Berggeist Rübezahl.
Welche Gestalt hat die Grabstätte?
Nach einem kurzen Irrweg fanden wir schließlich in einem Waldgebiet aufgehäufte Felsblöcke und erkannten darin sogleich das steinerne Denkmal.
Uns wurde ganz eigen ums Herz; und ich ertappte mich bei dem Gedanken, hier, an diesem historischen Ort, für das Seelenheil des berühmt-berüchtigten Herrn der Berge ein Gebet zu sprechen!
Als ich meinen Fotoapparat einsetzen wollte, stellte ich mich für die Aufnahmen auf eine ca. zwei Quadratmeter große, dicke Felsplatte. Da machte mich meine Frau darauf aufmerksam, daß unter meinen Füßen Buchstaben zu erkennen seien. Tatsächlich erschienen bei einer Säuberung von Laub, Fichtennadeln und Erdreich eine Reihe eingeritzter Zeichen. Deutlich wurden die Wörter Rübezahls Grab sichtbar, dazwischen auf dem Kopf stehend das Wort Karkonosz.
Wie ich befürchtete, waren nach der Entwicklung des Films auf dem Foto die Schriftzüge kaum auszumachen. Weil ich das schon ahnte, überlegten wir, wie wir das Schriftbild besser kenntlich machen könnten. Meinen Vorschlag, in einem der nächsten Häuser um eine Tüte Salz oder Mehl zu bitten, verwarf meine Frau mit dem Hinweis, daß die Feuchtigkeit das Ansinnen zum Mißerfolg führen würde.
Also kehrten wir zum Auto zurück und fuhren die vielleicht sechs Kilometer in den Ort Schreiberhau zurück, wo wir in einem Schreibwarengeschäft eine Schachtel weiße Kreide (laut polnischem Wörterbuch: Biala Kreda) kauften.
Damit ausgerüstet besuchten wir die Grabanlage ein zweites Mal und zogen die Buchstaben mit der Kreide nach. Nun zeigt auch das Foto gut lesbar die Inschrift.
Nicht weit davon weisen Schrifttafeln auf diesen Ruheort und auf einen wunderbaren Aussichtspunkt hin. Für deutsche Trauergäste allerdings unverständlich, denn die Texte wurden nur in Polnisch und Englisch abgefaßt!
Wer war Rübezahl?
Im Internet finden sich eine Reihe Angaben über den Berggeist (Schrat) des Riesengebirges. Die Entwicklung des Namens dieser Sagengestalt hat offenbar eine lange Vorgeschichte. Seit dem 16. Jahrhundert kennt man Bezeichnungen wie Rübenczal, Rübezal, Ribezal, Riebenzahl. Immer galt er in den Sudeten als der Herr über Geister und Gnomen und fand mit gespenstischen Geschichten und schaurigen Illustrationen Eingang in die deutschen Volksmärchen. So hören wohl auch die Buschweiblein, die nach einer Sage aus meinem Heimatdorf Altgersdorf im Bieletal in den Wäldern zu finden sind, auf seine gebieterische Stimme.
Wie kam er zu seinem heutigen Namen?
Recht bekannt geworden ist die Legende des Weimarer Poeten Johann Karl August Musäus (1735-1787), der berichtet, wie der Berggeist an der Tochter Emma des Herzogs Gefallen fand und diese entführte. Sie sollte seine Frau werden. Als Zeichen seiner Treue verlangte sie von ihm, er solle die Rüben auf einem großen Acker zählen; denn sie wolle an ihrem Hochzeitstag alle beleben, damit sie ihr dienstbar sein sollten.
Während der Bräutigam sich an die Arbeit machte, zauberte sie aus einer Rübe ein Pferd und floh damit in aller Eile zu ihrem Verlobten Ratibor, dem Gründer der gleichnamigen Stadt an der Oder. Als der Freier die Flucht bemerkte, war Emma bereits aus seinem Herrschaftsbereich entwichen. Er hatte das Nachsehen und erhielt den Spottnamen Rübezahl, über den er sich mächtig ärgerte.
Welche Charaktereigenschaften werden ihm zugesprochen?
Neben J. K. A. Musäus haben andere sich ebenfalls in der Literatur dem Berggeist Rübezahl gewidmet, so z. B. Friedrich Bischoff, Ferdinand Freiligrath, Georg Gustav Fülleborn, Carl und Gerhart Hauptmann, Paul Keller, Wolfgang Menzel, Martin Opitz, Johannes Praetorius, Otfried Preußler, Robert Reinick. Auch die Malkunst (Peter Carl Geissler, Ludwig Richter, Moritz von Schwind, Max Slevogt) und die Musik (Louis Spohr, Carl Maria von Weber) griffen das Thema auf.
Musäus sieht den Wirkungskreis Rübezahls weniger auf der Oberfläche der Erde. Zuweilen gefällt es dem unterirdischen Fürsten, seine ausgedehnten Provinzen zu durchkreuzen, die unerschöpflichen Schatzkammern der Flöze und edlen Metalle zu beschauen, die Knappschaft der Gnomen zu mustern und zur Arbeit anzusetzen. Denn die Gewalt der Feuerströme im Eingeweide der Erde muß durch feste Dämme gebändigt, mineralische Dämpfe müssen aufgefangen und in taubes Gestein geleitet werden, damit es sich in edles Erz verwandelt.
Dann und wann nimmt er Urlaub von den Regierungsgeschäften, erhebt sich an die Oberwelt und treibt sein Wesen auf dem Riesengebirge, wo er die Menschen narrt oder beglückt, straft oder belohnt, je nachdem, wie ihm gerade zumute ist. Denn Rübezahl ist ein launischer, unberechenbarer Geist, ungestüm, ja roh, dann wieder weich und gutmütig, heute der wärmste Freund, morgen fremd und kalt.
Bleibt Rübezahls Wirkkraft über das Grab hinaus?
Rübezahl herrscht wohl weiterhin aus der Geisterwelt heraus.
Hugo Hartung erklärt mit unverminderter Gewißheit, daß der Berggeist noch immer im schlesischen Riesengebirge daheim sei.
Er spielt noch immer die eiserne Harfe der Eiszapfen an den Wetterfichten des Kammes; er reißt nachts an den Fensterläden der Bauden; er spielt noch immer die große Sturmorgel und lockt mit dem Silberspiel des Rauhreifs die Skiläufer und die allzu Vorwitzigen in den Abgrund. Er ist noch immer groß und königlich, gut und böse, Herr des Riesengebirges: Rüüübezahl!
Günther Gröger, Altgersdorf