Grafschaft Glatz (Schlesien) Neuigkeiten und Wissenswertes aus Schlesien

9.9.2013

67. Jahreswallfahrt der Grafschaft Glatz nach Telgte 2013

Filed under: Neues aus Schlesien — Horst Ulbrich @ 22:27

Joachim Kardinal Meisner
und Großdechant Franz Jung –
beide geschätzte schlesische Kirchenführer
mit eigenem Vertreibungserleben –
leiteten die

67. Jahreswallfahrt der Grafschaft Glatzer Katholiken
zur Gnadenmutter von Telgte
– 30./31. August 2013 –

 

Bitte auf die Bilder klicken.

P1010989    P1020012

Der Wallfahrtsort für leidgeprüfte Menschen

Telgte, nur gut 10 km von Münster in Westfalen entfernt, bildet das Ziel für die Wallfahrer, die schweres Leid zu tragen haben. In ihrer Not pilgern sie zum Gnadenbild der schmerzhaften Muttergottes, jährlich um die 100 000. Hier finden sie keine Darstellung der Himmelskönigin, der Herrscherin, der Siegerin. Die Statue in Telgte schenkte durch die Jahrhunderte Trost, Linderung des Seelenleids, Seelenfrieden, bewirkt durch den Anblick des aus Pappelholz geschnitzten Bildnisses, das die sitzende Mutter Jesu zeigt, ihren totenstarren Sohn in ihren Armen haltend. Zu ihr steigen die Gebete auf, zu ihr, die selbst unbeschreibliches Leid getragen hat. Bei ihr erfleht man Verständnis und Hilfe in Sorge und Verlassenheit, weil sie aus eigenem Erleben Einsicht und Verstehen erwarten läßt. „Wer hat je umsonst deine Hilfe angefleht? Wann hast du vergessen ein kindlich Gebet?“

So wurde gerade diese Wallfahrtsstätte, seit 1651der Hauptwallfahrtsort des Münsterlandes, auch von den aus der Grafschaft Glatz Vertriebenen sinnvoll ausgewählt, als Zuflucht für die Heimatvertriebenen und Entrechteten. 

Fester Termin im Jahreslauf

Immer am letzten Wochenende im August versammeln sich hier die ehemaligen Bewohner des „Herrgottswinkels“, des „Marienlandes Glatz“. Über die Jahrzehnte hin lädt Großdechant Franz Jung seit 1983 in der Tradition seiner Vorgänger Dr. Franz Monse, Prälat Leo Christoph und Prälat Paul Sommer das Grafschafter Gottesvolk zum gemeinsamen Gebet, zur gemeinsamen Trauer, zum gemeinsamen Kraft-schöpfen ein, wobei sich die Pilger über das Schreckliche des erlittenen Unrechts austauschen, aber zugleich auch den Blick versöhnlich nach vorn richten. So wirkt das Wallfahrtsgeschehen noch lange nach; es gibt Halt und Zuversicht.  

Hoher Besuch

Joachim Kardinal Meisner verlieh in diesem Jahr der Wallfahrt durch seine Teilnahme eine besondere Note. Zu seinem Erzbistum Köln mit rund 8 Millionen Gläubigen gehören neben Köln die Diözesen Aachen, Essen, Limburg, Trier und auch Münster, so daß der Erzbischof bei seinem Besuch innerhalb der Grenzen seines bischöflichen Amtes blieb.

Als gebürtiger Schlesier aus Lissa nahe Breslau pflegt er ein gutes Verhältnis zu den Grafschaft Glatzern; es ist nicht seine erste Begegnung mit ihnen. Es sei hier zum Beispiel an die Einweihung des Wege- und Gedenkkreuzes des Bildschnitzers Alfred Langer (Neuwaltersdorf) am „Haus Schlesien“ in Königswinter-Heisterbacherrott am 26. Mai 1991 erinnert und vor allem an die Seligsprechung von Kaplan Gerhard Hirschfelder im Hohen Dom zu Münster am 19. September 2010! Dort sprach er die noch gut im Gedächtnis haftenden Lobesworte aus: „Gerhard Hirschfelder – Christ, Priester und Martyrer – ist einer von euch. Zunächst werden das im engeren Sinne die Grafschafter und Schlesier sagen dürfen.“

Durch die Patenschaft der Stadt Köln über Breslau im Jahre 1950 wurde eine neue Verbindung aufgebaut. Insofern war es eine gute Fügung, daß Bischof Joachim Meisner von Berlin 1989 zum Erzbischof von Köln berufen wurde!

Beide Bischofs- und Domstädte waren im Mittelalter durch die sog. „Hohe Straße“ (über Leipzig und Görlitz) als Messestädte der Hanse direkt miteinander verbunden. Die heutige Straßenführung geht über die A 4 und durchquert Erfurt, Dresden und Görlitz.

Seit 1987 gedenken beide Städte in großer Verehrung der Philosophin Edith Stein, die in Breslau geboren wurde, 1933 als Ordensschwester Teresia Benedicta vom Kreuz in den Kölner Karmel aufgenommen und 1942 von der Hitlerdiktatur in den Gaskammern in Auschwitz-Birkenau ermordet wurde. Papst Johannes Paul II. nahm 1987 ihre Selig-, 1998 ihre Heiligsprechung vor. Sie wurde von ihm zur Schutzheiligen Europas erklärt.

Kardinal Meisner pflegt die Beziehungen zu seiner Heimatstadt Breslau, so z. B., als er 1991 bei der Umbettung des Kardinals Bertram vom Friedhof Jauernig (seit 1945 dort bestattet) in den Breslauer Dom sowie 1997 beim Eucharistischen Weltkongreß in Breslau sehr präsent war. Er bekennt sich zum Schlesiertum! Sein Eintritt in den Ruhestand bedeutet einen herben Verlust!

Einzug zum Altar auf dem Zeltpodest

Vor der Propstei nahmen alle Mitwirkenden nach den Anweisungen des Zeremoniars Dieter Schöngart Aufstellung und zogen in Prozession durch das Kirchenschiff zum Zeltaltar auf dem großen Versammlungsplatz zwischen der Kirche und der Baumallee am Schwesternhaus. Messdiener/innen führten den Zug an. Es folgten Fahnenabordnungen – z. B. mit den Bildnissen des Arnestus von Pardubitz und des Seligen Gerhard Hirschfelder sowie des Glatzer Gebirgsvereins -, dann etwa 20 Priester und Diakone sowie eine gleich große Anzahl an Ordensschwestern, vier „Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem“ in ihren weißen Mänteln mit dem Jerusalemkreuz und dem schwarzen Barett; den Abschluß bildeten Kardinal Meisner, Großdechant Jung und Visitator Dr. Giela.

Propst Heinz Erdbürger fand freundliche Worte zur Begrüßung und hieß alle herzlich willkommen.

Der Festgottesdienst

In Konzelebration mit Großdechant Franz Jung, Visitator Dr. Joachim Giela, Prälat Johannes Adam und Pfarrer Reinhard Gröger feierte Joachim Kardinal Meisner mit etwa anderthalb Tausend Gläubigen das Festhochamt. Ausdrücklich wünschte er sich als Eingangslied „Hier liegt vor deiner Majestät“ aus der „Michael-Haydn-Messe“, aus der weitere Lieder gesungen wurden, ergänzt durch Marienlieder „O Mutter mit dem Himmelskinde“, „Seht die Mutter voller Schmerzen“, „Geleite durch die Welle“ sowie „Uns zum Himmel zu erheben“ und „O höchstes Gut, o Heil der Welt“, die jeweils vom sangeskundigen Dirigenten Georg Jaschke angesagt wurden.

Predigt des Erzbischofs Joachim Kardinal Meisner

In seiner Ansprache wies sich Kardinal Meisner als inniger Marienverehrer aus, tiefgläubig in seiner schlesischen Mentalität und bestrebt, eine geschwisterliche Aussöhnung zwischen den europäischen Völkern zu erreichen. Schon die Anrede „liebe Landsleute aus Nah und Fern“ zeigte seine Heimatverbundenheit, und so stellte er die Mutter Jesu in der Frömmigkeit dar, wie es den Grafschaft Glatzer Katholiken schon immer eigen war.

„Jesus hat für sich eine irdische Mutter gewollt, damit seine Jünger nie mutterlos und damit heimatlos würden. … Das letzte Gleichnis der Heimat ist die Mutter. … Am Kreuz gibt Jesus in der Person des Johannes Maria uns allen zur Mutter: `Siehe, deine Mutter´(Joh. 19,27). Und damit ist das Haus mit Maria das Ur-Zuhause und die Ur-Heimat des Menschen schlechthin geworden. … Maria ist die gemeinsame Mutter aller Gläubigen, aller Italiener, aller Tschechen, Polen und Deutschen, und darum sind wir untereinander als Marienkinder auch wirkliche Geschwister. … Die Hand der Mutter führte uns ins Mutterhaus, auch ins Mutterhaus unseres Heimatortes, nämlich in die Heimatkirche, wo wir Gott zum himmlischen Vater und Maria zur himmlischen Mutter erhielten. Daher mussten wir keine heimatlosen Waisenkinder werden, auch dann nicht, wenn Vater oder Mutter oder beide gestorben sind oder uns die irdische Heimat verloren ging. So kommen wir hier nach Hause, nicht in die Fremde. Denn die Gottesmutter erwartet uns in ihrem stillen Heiligtum in Telgte.“

Dann trat er in eine Meditation und führte über das Gnadenbild aus: „Maria sitzt aufrecht und stellt die vertikale Linie des Kreuzes dar. Auf ihren Armen hält sie den toten Sohn, und er stellt die horizontale Linie des Kreuzes dar. Das Kreuz ist das plus-gewordene Minus der Welt durch den Einsatz Gottes. Und das hat in Maria, der Pieta, menschliche Gestalt angenommen. Beide Linien, die vertikale und die horizontale, kreuzen sich im Herzen der Mutter Jesu. … Maria steht auch – und vergesst das nicht – unter unseren persönlichen Kreuzen. … Auch in der letzten Stunde wird sie dabei sein: wir sterben zwar allein, aber nicht mutterseelenallein.“

Er  wandte auch den Blick hin zu der verlorenen Heimat, indem er erfreut anmerkte:

„Wir danken den Bewohnern unserer alten, lieben Heimat, daß sie unsere – also unsere gemeinsamen – Heiligtümer, Kirchen, Kapellen und Altäre hegen und pflegen, sodaß wir immer wieder nach Hause kommen können: nach Albendorf, auf den Schneeberg, nach Glatz, nach Wartha, auf den St. Annaberg.“

Recht gern vernahmen die Zuhörer/innen aus dem Munde des Predigers, wie er den Grafschaft Glatzer Seligen als Schutzbefohlenen der Gottesmutter vorstellte und erneut ein Lob anbrachte, daß er schon einmal vor drei Jahren aussprach. „Eine solch marianisch geprägte Person aus der alten Heimat ist der unvergeßliche Jugendseelsorger der Grafschaft Glatz, der selige Gerhard Hirschfelder. Ich kann euch Grafschafter nur beglückwünschen, daß ihr außerhalb der Grafschaft Glatz hier in Münster, eifrig, lautlos, tapfer an dem Selisprechungsprozeß gearbeitet habt, sodaß er uns gleichsam wiedergeschenkt wurde bei der Seligsprechung im Dom zu Münster. Er ist und bleibt einer von uns, der gezeichnet ist durch das Kreuz, durch die Pieta, durch die schmerzhafte Muttergottes. Er ist die kostbarste Gabe, die Mitgift, die ihr von zu Hause aus der alten Heimat hierher mitgenommen habt.“  

Fürbitten

Hierbei wurden die großen Anliegen der Kirche vorgetragen –

  • für eine gute Zukunft der Jugendlichen bei der Ausbildung, beim Recht auf Arbeit und Heimat,
  • für eine Überwindung von Grenzen zu Freiheit und Geschwisterlichkeit,
  • für alle in der Missionsarbeit und die Wohltäter an den Heimatvertriebenen,
  • für alle Verstorbenen – stellvertretend für Propst Günther Negwer, Schwester Christiane Schnorr und Anneliese Lechler – zur Aufnahme in die ewige Herrlichkeit,
  • für alle Völker zur Beendigung von Krieg und Feindschaften, besonders in Ägypten und Syrien.

Kreuzwegandacht

Während der Mittagspause, wo sich die Teilnehmer/innen in den verschiedenen Trefflokalen in gemeinsamer Wiedersehensfreude zusammenfanden, die „Glatzer Stube“ oder „Religio“, das Museum für religiöse Kunst besuchten, oder auch sich an den zahlreichen Verkaufswagen mit schlesischen Wurst- oder Backwaren stärkten, lud der treue und immer einsatzbereite Diakon Ewald Pohl zur Kreuzwegandacht in die Wallfahrtskirche, wo sich eine stattliche Anzahl einfand und mit ihm sang und betete.

„Heimatwerk der Grafschaft Glatz e. V.“ in unermüdlichem Einsatz

Rund um die Kirche und in den angrenzenden Straßen waren viele Helfer und Helferinnen eifrig bei der Arbeit, um die Pilger/innen zu betreuen. Es handelte sich vorwiegend – neben vielen zusätzlichen ehrenamtlichen Helfern/innen – um den Personenkreis, der vormals im „Pastoralrat“ mitarbeitete. Als dem Großdechanten das Amt des „Visitators“ 2012 aus Altersgründen aberkannt worden war, mußte sich der „Pastoralrat“ auflösen. Unter dem neuen „Firmennamen“ als „Mitarbeiterkreis des Großdechanten (MAK)“ im „Heimatwerk Grafschaft Glatz e.V.“ bildet die Gruppe ein solides Fundament, auf die sich der Großdechant weiterhin vertrauensvoll und zuverlässig stützen kann.

In großer Dankbarkeit nahm der Großdechant von dem vielseitigen Einsatz der Hilfskräfte Kenntnis, so z. B. im Cafe bei Kaffee und Kuchen, im Basar mit den schönen Bastelarbeiten, am reichhaltigen Büchertisch, beim Verteilen der Erbsensuppe des „Malteser Hilfswerks“ -,  und er führte später auch Kardinal Meisner an den „Tatort“, wo sich  beide persönlich mit einem herzlichen „Vergelt´s Gott“ bedankten.  

Bitte auf  die Bilder klicken. 

P1020034  P1020019 

 Marienandacht als Abschluß 

In der vollbesetzten Kirche feierten Großdechant Jung, Prälat Adam, Propst Erdbürger, Pater Galke und weitere Priester und Diakone mit den Pilgern/innen die Abschlußandacht.

Pater Georg Galke aus Dessau nahm als Predigtthema: „Wer glaubt, wird selig“ und wählte als Einstieg Überlegungen der Autorin Bettina Baltschev vom Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) auf ihrer Suche nach einer Beziehung zu Gott, zum Glauben an ihn. Ob sie eine Bindung an ihn, „an einen Gott, der es, wie sie selbst sagt, gut mit ihr meint, der ihr zum Heil ist, der sie also selig macht“,

finden wird, bleibt noch offen. Glauben, so erläutert Pater Galke, heißt, „mehr und mehr überzeugt zu sein, daß Gott uns liebt, daß wir ihm vertrauen können, daß wir ihn liebhaben dürfen und können, daß wir ihn also nie und nimmer fürchten, vor ihm Angst haben müssen, sondern daß er im Gegenteil liebevoll seinen Arm um uns legt“! Maria habe dieses große Vertrauen zu Jesus aufgebracht, „und so steht gerade bei uns Glatzern der Versuch, aus Marias Haltung zu leben, wie sie zu denken, zu urteilen und zu handeln, … voller Verständnis an der Seite der Menschen sein und mit ihnen gehen – in ihren Sorgen, Leiden, Fehlern und Freuden. … Und ich glaube, das war auch immer die Marienfrömmigkeit und die gläubige Sicht der Glatzer gegenüber Maria – es ging uns nicht um irgendwelche Lehrsätze und Dogmen, wir sahen Maria als unsere Begleiterin und Schutzfrau, der wir vertrauen, die wir lieben“. „Wenn ich an Gott, an Gottes Geist, den heilenden Atem Gottes glaube, dann bin ich in der Folge in der Lage, mich zu ändern, gar zu bessern. Das ist fürwahr seligmachend!“

Im Anschluß folgten Gebete und Lieder, wobei Pfarrer Karras mit seiner klangvollen Stimme mit der Gemeinde die „Grüssauer Rufe“ sang und Propst em. Kuschel mit heiterer Miene die Andachtsgegenstände segnete, die dann den Weg zu den Daheimgebliebenen antraten.

Durch ausgewählte Geschenke ehrte der Großdechant im Altarraum Ludwig und Hannelore Adelt, Johannes und Marianne Güttler und Peter Güttler für ihre wertvolle Unterstützung über vier Jahrzehnte bei den Wallfahrten, der Organisation und Betreuung bei Fahrten zu den Gnadenstätten in der Grafschaft Glatz sowie vieler hilfreicher Aktivitäten im ehemaligen Pastoralrat und anderen Grafschafter Gremien. Auch drei Ordensfrauen aus dem Schwesternhaus in Telgte ließ er eine Ehrung zuteil werden, die stetig und zuverlässig die Grafschafter Stelen in ihrem Garten gepflegt und mit Kerzenlicht versehen haben.

Großdechant Jung dankte noch einmal nach allen Seiten und brachte eine große Neuigkeit an die Öffentlichkeit:

Für Bruder Fortunatus Thanhäuser aus Volpersdorf (am 21.11.2005 verstorben in Kattappana) läuft der Selig/Heiligsprechungsprozeß, eingeleitet durch die „Barmherzigen Brüder“ und die indischen Bischöfe. Er wirkte im Urwaldgebiet des Hochgebirges von Kerala, wo er unter anderem für etwa 5000 Familien der Ärmsten ein Obdach geschaffen hat.

25000 Trauernde begleiteten den Sarg zur kleinen Grabkapelle und bewiesen ihm so die Ehre für sein frucht- und segensreiches Wirken durch den Aufbau von Krankenanstalten, Sozialeinrichtungen und die Gründung der Ordensgemeinschaft „Schwestern der Nächstenliebe vom heiligen Johannes von Gott“. 

Daran schloß sich das Gebet zum Seligen Gerhard Hirschfelder an und mit dem Heimatlied „Über die Berge schallt…“ endete das religiöse Großereignis. 

Merke: Es gibt inzwischen zwei Päpste,
aber immer nur einen Großdechanten!  

Günther Gröger, Altgersdorf

Keine Kommentare »

No comments yet.

RSS feed for comments on this post.

Leave a comment

Powered by WordPress