Grafschaft Glatz (Schlesien) Neuigkeiten und Wissenswertes aus Schlesien

1.6.2017

Buchbesprechung „Neubeginn in der Fremde“

Filed under: Allgemein — Horst Ulbrich @ 16:20

Lesebuch zur Grafschaft Glatz

Horst-Alfons Meißner (Hrsg.): Neubeginn in der Fremde – Vertriebene aus der Grafschaft Glatz in Schlesien nach 1946. Verlag Aschendorff, Münster 2016, 505 S.

Es ist unvergesslich: Ein Bus mit den deutschen Visitatoren der Vertriebenenseelsorge und ihren Mitarbeitern fährt auf den elterlichen Bauernhof des Großdechanten Franz Jung in Gläsendorf/Szklarnia in der ehemaligen Grafschaft Glatz. Aus dem Haus kommt der im Mittagschlaf aufgestörte heutige polnische Besitzer, ein Hüne. Er umarmt den körperlich nicht gerade großen Prälaten. Welch ein Beispiel von langer Bekanntschaft, Versöhnung nach der Vertreibung! Natürlich zeigt der Großdechant die Stätten seiner Kindheit. Im August 1946 hatte seine Familie ihren Hof, auf dem sie seit vielen Generationen ansässig war, den Polen übergeben müssen. Das etwa vier Meter hohe Kreuz in der Nähe des Hofes wurde 2004 vom polnischen Pfarrer und dem Großdechanten gemeinsam eingeweiht.

Den 80. Geburtstag von Franz Jung Ende 2016 nahm der Kirchenhistorische Arbeitskreis der Grafschatz Glatz zum Anlass, in 29 Beiträgen – allein neun hat Horst-Alfons Meißner übernommen – die Geschichte der Glatzer, vor allem ihren Neubeginn nach der Vertreibung vorzustellen. Es versteht sich von selbst, dass der Titel „Großdechant“, der weltweit einmalig in der katholischen Kirche geführt werden darf, erklärt wird: In dem von Deutschen bewohnten östlichsten Teil des Erzbistums Prag trugen die Dechanten seit 1810 den Titel Großdechant und waren zugleich Generalvikare. 1918 wurde das zusätzlich wichtig, weil das Erzbistum nun zugleich in Deutschland und der Tschechoslowakei lag. Prälat Jung ist vermutlich der letzte Träger dieses Ehrentitels.

Das „Lesebuch“ zur Grafschatz Glatz ist mit wissenschaftlicher Gründlichkeit erarbeitet, viele Fußnoten weisen darauf hin. Deutlich wird, wie oft der Großdechant inzwischen in seiner Heimat war und erfolgreich daran mitarbeitete, den Hass zu überwinden. Höfliche Zurückhaltung in Bezug auf die Nachkriegsereignisse kennt das Buch nicht. Nur die Wahrheit konnte den Weg zur Versöhnung freimachen. So wird zitiert, wie auch der polnische Klerus zur Beseitigung von allem, was an die Deutschen erinnerte, ermunterte. Nach der Wende wurden etwa 400 Kirchen und Denkmäler – mit manchem Geld aus Deutschland – von den ehemaligen und den heutigen Bewohnern der Grafschaft, dieses kleinen Teils von Schlesien im Gebirgsbecken der Sudeten, gemeinsam wieder aufgebaut oder restauriert.

Manfred Spata hat Ort für Ort – dabei auch die heutigen polnischen Namen angeführt – aufgelistet, was in deutsch-polnischer Zusammenarbeit dem Untergang entrissen wurde.

In diesen Zusammenhang gehört auch der Bericht von Heinz-Peter Keuten, der als Rückwanderer mit deutschen Examina in die Region seiner Vorfahren ging und dort als polnisch verbeamteter Lehrer tätig ist. Anderthalb Jahre ließ sich die polnische Regierung allerdings Zeit, bis sie dem Antrag auf ständigen Aufenthalt in der Grafschaft und Hauserwerb stattgab.

Der Historiker Michael Hirschfeld – durch knapp zwanzig Publikationen ausgewiesener Kenner der Grafschaft – verdeutlicht mit seinem Artikel über Grafschafter im Oldenburger Land den Neubeginn nach dem Kriege bei zum Teil konfessioneller Verschiedenheit. Die Familie Jung, die sich in Westfalen eine neue Landwirtschaft erarbeitete, ist ein überzeugendes Beispiel für Tatkraft und Arbeitswillen. Selbst die Wiederbelebung des „Glatzer Gebirgs-Vereins“ hat ihren Autor in diesem vielfältigen Geschichtswerk gefunden. Freud und Leid des Deutschen Freundschaftskreis (DFK) haben ebenso ihren Platz wie berühmt gewordene Grafschafter. Zwei deutsch-polnische Stiftungen beantworten mit dem „Haus Glatzer Bergland“ in Lüdenscheid die Frage: „Was soll von uns bleiben?“ Die „Kaplan-Gerhard-Hischfelder-Stiftung“ widmet sich der Pflege des kulturellen und religiösen Erbes der Grafschaft.

Norbert Matern (KK)

Ins Internet gestellt.

Horst Ulbrich

Keine Kommentare »

No comments yet.

RSS feed for comments on this post.

Leave a comment

Powered by WordPress