60 Jahre Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe
Unter dem Titel „Dolny Śląsk po 1945 r. – widziany z różnych perspektyw“
(Niederschlesien nach 1945 – aus verschiedenen Perspektiven betrachtet) fand am 25.
April in der historischen Papiermühle Duszniki eine bemerkenswerte öffentliche Tagung
statt.
Dies war eine weitere Debatte, die vom Geschichtszentrum Zajezdnia in Breslau im
Rahmen der Reihe „Zwischen Stadt und Region“ organisiert wurde.
Bemerkenswert zum einen wegen der anhaltend wichtigen Inhalte der Beiträge:
Ziel des Treffens war es, den Gedanken der Versöhnung aus unterschiedlichen Ansätzen
zu erläutern. Dabei machte schon die Einladung die Schwierigkeit und Komplexität
deutlich, über „Versöhnung“ im Rahmen der deutsch-polnischen Beziehungen und
ergänzend auch der tschechisch-polnischen Beziehungen zu sprechen.
Diese anspruchsvollen Aufgaben wurden in den Darstellungen der drei Referenten vertieft:
Dr. habil. Małgorzata Ruchniewicz, Professorin am Institut für Geschichte der Universität
Wrocław, Dr. habil. Piotr Pałys von Instytut Śląski w Opolu (Schlesisches Institut in Opole)
und Dr. habil. Maciej Szymczyk, Direktor des Papiermuseum in Duszniki-Zdrój.
Prof. M. Ruchniewicz stammt aus Bystrzyca Kłodzka, sie wurde für ihre wissenschaftlichen
Publikationen, von denen einige auch auf Deutsch erschienen sind, mehrfach
ausgezeichnet. In der Region ist als Co-Autor (mit Prof. Arno Herzig) der folgenden
Studien bekannt: Geschichte des Glatzer Landes (2006), W kraju Pana Boga. Im Land des
Herr Gottes. Quellen und Materialien zur Geschichte der Region Glatz vom 10. bis zum
- Jahrhundert (2003). Ihr Ehemann Prof. Krzysztof Ruchniewicz ist ein polnischer
Historiker, Deutschlandforscher, Professor der Uni Breslau und Direktor des dortigen Willy-
Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien sowie Direktor des Witold-Pilecki-
Instituts in Warschau. Dr. habil. Piotr Pałys ist Autor zahlreicher Werke über die polnisch-
tschechischen Beziehungen, insbesondere seit 1945.
Die Diskussion wurde von Dr. Emilia Dziewiecka von der Abteilung „Weltweite
Papierherstellung“ des Museums geleitet.
Die Vorträge der Wissenschaftler widmeten sich der Entwicklung der Region Glatz nach
dem Zweiten Weltkrieg sowie den polnisch-deutschen und polnisch-tschechischen
Beziehungen seit 1945.
Im Anschluss an diese Vorträge verdeutlichten in der Diskussionsrunde u.a. Henryk
Grzybowski (Klodzko) am Beispiel Altheide / Polanica sowie Julian Golak (Nowa Ruda)
aus seinem Schaffen positive Gedanken zur deutsch-polnischen Versöhnung.
Die Diskussion war stürmisch, auch kritische Sichtweisen aus einer betont einseitigen
polnischen Perspektive kamen zu Wort, stießen aber bei den vielen Teilnehmern nicht auf
Akzeptanz.
Die Veranstaltung wurde wissenschaftlich begleitet und ergänzt durch Dr. habil. Wojciech
Kucharski, der zum Abschluss die Vorträge sowie die Diskussionsbeiträge
zusammenfasste und als Historiker in die richtigen Zusammenhänge stellte.
Bemerkenswert war die Veranstaltung aber zum anderen und ganz besonders durch das
persönliche Gespräch mit Dr. Kucharski nach dem offiziellen Ende der Tagung: In dieser
Unterhaltung fragte er mich, ob ich den Briefwechsel der polnischen und deutschen
Bischöfe kenne. Selbstverständlich – aber die folgende Frage war für mich die
Überraschung des Tages: „Kennen Sie auch den Entwurf der polnischen Bischöfe für ihr
berühmtes Schreiben?“
Ebenso selbstverständlich nicht – wer kennt schon diesen Entwurf, der laut Dr. Kucharski
viele Jahre verschollen war und erst vor kurzem im Vatikan wiedergefunden wurde.
Aus seiner Aktentasche zog der polnische Gesprächspartner dann als Faksimile den
kompletten Entwurf des Schreibens der polnischen Bischöfe hervor und gestattete auch mit
ausgiebigen Fotografien.
Dabei stellte er den Briefwechsel näher dar (in Vorbereitung einer Ausstellung, die im Mai
in Warschau eröffnet werden soll).
Anmerkung: Manfred Spata wies mich in der Zwischenzeit dankenswerterweise darauf hin,
dass dieser Entwurf in Deutschland bereits in Bonn in einer Ausstellung zu sehen war.
Zwei Erkenntnisse überraschten mich in diesem persönlichen intensiven Gespräch
besonders:
– Der Entwurf der polnischen Bischöfe ist bereits in Deutsch geschrieben!
Offensichtlich war nicht nur der Hauptautor, Bischof und spätere Kardinal Bolesław
Kominek (Wrocław), als Oberschlesier der deutschen Sprache ohne Probleme mächtig,
sondern auch weitere polnische Bischöfe, die den Brief korrigiert bzw. geändert haben,
wandten Deutsch wie selbstverständlich an.
– Der Briefwechsel fand nicht über Ländergrenzen hinweg statt, sondern die Briefe wurden
in Rom während der letzten Monate des II.Vatikanischen Konzils ausgetauscht.
Am 18. November 1965 ist der Brief der polnischen Bischöfe unterschrieben worden.
Die berühmten Worte der polnischen Bischöfe „Wir gewähren Vergebung und wir bitten
um Vergebung“ wurden nach der Veröffentlichung 1965 jedoch in beiden Ländern heftig
und kritisch diskutiert – zwanzig Jahre nach Kriegsende, fast zwanzig Jahre nach der
Vertreibung.
Am 05.Dezember 1965 antworteten die deutschen Bischöfe ihren polnischen
Amtskollegen, die „ von der Zurückhaltung dieser Antwort enttäuscht sind“ (Katalog der
Ausstellung 2016 „Kardinal Kominek“, Wrocław 2015, S. 18).
Die deutschen Bischöfe hingegen hatten ihren Brief natürlich in deutscher Sprache
entworfen – er musste dann in aller Eile übersetzt werden. Dabei sind von dem deutsch-
polnischen Priester, der lt. Dr. Kucharski diesen Brief ins Polnische übertragen hat, viele
Feinheiten der deutschen Antwort nicht beachtet worden..
Zur weiteren historischen Einordnung dieses Briefwechsels ist auch die Denkschrift der
EKD vom 01.Oktober 1965 zu beachten: Die Evangelische Kirche hatte sich unter dem
Titel „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen
östlichen Nachbarn“ deutlich zur Schuld des deutschen Volkes positioniert – was ihr in
Deutschland sofort große Kritik einbrachte.
Wer mehr über diese fast sechzig Jahre zurückliegende vorsichtige Annäherung und die
Folgen in Deutschland wie in Polen wissen möchte, findet z.B. im Online-Lexikon zur
Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa der Universität Oldenburg
ausführliche Hinweise und Erläuterungen.
Die dortige Kurzbeschreibung lautet: „Am 18. November 1965 wandten sich die polnischen
Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder mit einem Brief, der den berühmt gewordenen
Satz „[Wir] gewähren Vergebung und bitten um Vergebung“ enthielt. Die deutschen
Bischöfe antworteten am 5. Dezember desselben Jahres. Obwohl der Briefwechsel
zeitgenössisch durchaus kontrovers aufgenommen wurde, gilt er heute als Meilenstein der
deutsch-polnischen Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg.“ ( https://ome-lexikon.uni-
oldenburg.de/begriffe/briefwechsel-der-polnischen-und-deutschen-bischoefe ).
Treffend auch die Anmerkung und Erinnerung meines (Schul-)Freundes Michael Güttler zu
meinem Erlebnis in Duszniki:
„Hochinteressant! Habe das damals 1965 als junger Bursche trotzdem schon recht gut
und intensiv nachverfolgt. Natürlich durch Herkunft geprägt.“ (Zitat 2025)
Und so sind an diesem bemerkenswerten Abend in Duszniki sowohl der Briefwechsel (in
Rom überreicht, in Deutsch von den polnischen Bischöfen entworfen) verdeutlicht als auch
der umfassende geschichtliche Bezug zumindest angedeutet worden:
Die Schritte der Kirchen, auch der EKD, und der vertrauensvollen Kontakt der Bischöfe
(auch schon vor 1965) haben ihren Teil zu Entwicklungen wie der geänderten deutschen
Ostpolitik und dem Kniefall Willy Brandts in Warschau vor dem Denkmal der Helden des
Ghettos sowie dann auch 1978 zur Wahl des polnischen Kardinals Wojtyla zum Papst
beigetragen.
Autor: Peter Becker: Mitglied des DFK Glatz. Mitarbeit: Henryk Grzybowski